Grundlagen

Die Grundlagen der Aussagenlogik (für Legal Tech)

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Einleitung

Auch wenn die Bedeutung der Theorie der Aussagenlogik in der Anwendung auf das Recht von Juristen unterschiedlich eingeschätzt wird, kommt ihr im Kontext von Legal-Tech-Problemen eine besondere Rolle zu. Soll etwa die Funktionsweise einzelner Rechtsnormen (Tatbestandserfüllung führt zu Rechtsfolge) in einem Computerprogramm abgebildet werden, so muss dieser Mechanismus, so wie alle anderen Zusammenhänge, die in einem Computerprogramm abgebildet werden sollen, zunächst in eine logische Form mit Variablen und Regelstrukturen übersetzt werden, um von einem Computer ausgeführt werden zu können.

Die Disziplin, logische Zusammenhänge einerseits in einer Formsprache zu modellieren und andererseits natursprachliche Sätze in einer logischen Fromsprache zu repräsentieren ist schon viel älter als man vielleicht denkt. Die Logik wurde nicht etwa durch die Informatik oder die moderne Mathematik begründet, sondern war bereits Forschungsobjekt antiker Philosophen, die die Disziplin als erste prägten. (Fn. 1)

Die Grundannahme der Logik ist, dass alle Denkvorgänge gewissen universellen Gesetzmäßigkeiten unterliegen, so dass manche Schlüsse logisch gültig und andere logisch ungültig sind. Die Logik kann also im wesentlichen als Lehre vom gültigen Schluss verstanden werden. (Fn. 2)

Elementare Aussagesätze

In der Aussagenlogik werden Aussagesätze behandelt, also solche Sätze, die eine Aussage über die Wirklichkeit machen und entweder wahr oder falsch sind (Bivalenzprinzip). (Fn. 3) Sätze, die keine Aussagesätze sind, werden von anderen logischen Disziplinen betrachtet, etwa Fragesätze oder Imperative (Sollens-Sätze). (Fn. 4) Bei Letzteren treten wiederum jeweils eigene Besonderheiten auf, deren Basis allerdings stets die Aussagenlogik ist, weshalb dieser Beitrag letzterer gewidmet ist.

Beispiele für Aussagesätze:
3+3 = 6.
Die Sonne scheint.
Prof. Heckmann hält am 23.11.2021 um 18:30 Uhr eine Vorlesung im Thiersch-Gebäude am Stammgelände der Technischen Universität München.

Den Aussagesätzen gemeinsam ist, dass sie jeweils entweder wahr oder falsch sind. Anders als Frage- oder Befehlssätze machen Sie eine Aussage über die Wirklichkeit, die prinzipiell nur entweder wahr oder falsch sein kann. Unerheblich ist dabei, ob das tatsächlich nachgeprüft oder durch einen Menschen “gewusst” werden kann. Auch der Satz „Im inneren des Erdkerns lebt ein Drache mit vier Köpfen der täglich Juraprofessoren verschlingt.” ist ein Aussagesatz, der entweder wahr oder falsch sein könnte. (Wir hoffen falsch…)

Ein weiteres Kriterium von elementaren oder einfachen Aussagesätzen ist, dass sie selbst nicht weiter zerlegt werden können, also keine echten Teile besitzen. Ein Beispiel:

„Frank-Walter Steinmeier trägt eine Brille und Bärbel Bas hat einen Hut auf.“ kann in zwei aussagenlogische Teile zerlegt werden, nämlich: „Frank-Walter Steinmeier trägt eine Brille“ und „Bärbel Bas hat einen Hut auf”. Jede dieser Aussagesätze hat einen eigenen Wahrheitswert. Jede dieser elementaren Aussagesätze hat darüber hinaus folgende (idealerweise) nicht weiter zerlegbare Form: (Fn. 5)

Pn(t1 … tn)

P ist dabei der generelle Term (etwa die Eigenschaft „hat einen Hut auf”) und tn der singuläre Term, auf den sich der generelle Term bezieht (etwa „Bärbel Bas”). Man kann den einfachen Aussagesatz „Frank-Walter Steinmeier trägt eine Brille” also auch so darstellen:

trägt eine Brille(Frank-Walter Steinmeier)

Relevant für die Logik ist niemals der Inhalt der Aussagesätze, also ob Frank-Walter Steinmeier nun die Eigenschaft „trägt eine Brille”, oder „trägt einen Hut” hat, sondern nur ihr Wahrheitswert und die Gesetzmäßigkeiten, die daraus folgen. Deswegen könnte man den entweder wahren oder falschen Aussagesatz

trägt eine Brille(Frank-Walter Steinmeier),

der aus aussagenlogischer Perspektive nicht mehr zerlegbar ist und auf deren Wahrheitswert es ausschließlich ankommt auch einfach abkürzen, z.B. mit dem Buchstaben a. Nun steht a für eine beliebige entweder wahre oder falsche einfache Aussage. Aussagesätze, wie „3+3 = 6; Die Sonne scheint; Prof. Heckmann hält am 23.11.2021 um 18:30 Uhr eine Vorlesung im Thiersch-Gebäude am Stammgelände der technischen Universität München” könnten also alle mit den Kleinbuchstaben a, b, c, d … etc. abgekürzt werden.

Verschiedene elementare Aussagesätze können auch mit aussagenlogischen Verknüpfungen, sogenannten „Junktoren” oder „aussagenlogischen Operatoren” miteinander verbunden werden. Durch Sie können nun auch komplexere aussagenlogische Zusammenhänge modelliert werden und schließlich auch ein logischer Schluss ermöglicht werden.

Aussagenlogische Operatoren

Nachfolgend werden die wichtigsten Junktoren in der Aussagenlogik vorgestellt. Auch diese Operatoren können durch Symbole (etwa ¬, ˄ , ∨ ) dargestellt werden.

Zur Illustration werden nun Wahrheitstabellen verwendet. Diese haben auf der linken Seite die elementaren Aussagesätze (abgekürzt mit kleinen Buchstaben). Darunter befindet sich für jeden Aussagesatz jeweils eine Zeile, für die der jeweilige Aussagesatz wahr ist und darunter eine weitere Zeile in der er falsch ist. Abhängig davon, ob der elementare Aussagesatz in der betrachteten Zeile wahr oder falsch ist, ist auch das Ergebnis der aussagenlogischen Verknüpfung für die betrachtete Zeile entweder wahr oder falsch. Letztere werden auf der rechten Seite der Wahrheitstabelle aufgeführt.

NEGATION

Ein einfacher aussagenlogischer Operator ist die Negation, also die Verneinung.

Negation

Angenommen a steht für den Aussagesatz „die Sonne scheint” und es ist nach einem Blick aus dem Fenster klar, dass die Sonne tatsächlich scheint, dann steht ¬a für „es ist nicht wahr, dass die Sonne scheint”. Stellt sich wiederum heraus, dass die Sonne in Wirklichkeit gar nicht scheint und der Satz „Die Sonne scheint” in Wahrheit falsch ist, so steht ¬a für „es ist nicht wahr, dass die Sonne nicht scheint”, dass sie also in Wahrheit scheint.

Ein mögliches Anwendungsbeispiel aus dem Recht

Ein Verein, dessen Zweck nicht auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichtet ist, erlangt Rechtsfähigkeit in das Vereinsregister des zuständigen Amtsgerichts.

— §21 BGB (Nicht wirtschaftlicher Verein)

Eine Möglichkeit der logischen Repräsentierung

Der für die Norm relevante Satzteil „nicht auf einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb gerichteter Vereinszweck” könnte mit Hilfe eines elementaren Aussagesatzes und einer Negation repräsentiert werden:

Repräsentierung

Der Satzteil könnte nun (trivialerweise) wie folgt logisch repräsentiert werden:

¬a

Dies könnte nun auch unproblematisch analog in einem Python-Programm verwirklicht werden:

KONJUNKTION

Die Konjunktion verknüpft im Gegensatz zur Negation gleich zwei Aussagesätze. Sie steht für das umgangssprachliche „und”. Ihre Wahrheitstafel gibt an, für welche Fälle (also in denen a und b jeweils wahr oder falsch sind), das Ergebnis der daraus resultierenden Konjunktion (a ˄ b) wahr oder falsch ist.

Konjunktion

Das Ergebnis der Konjunktion ist nur wahr, wenn alle Teil-Aussagesätze ihrerseits wahr sind. In allen anderen Kombinationen ist das Ergebnis falsch.

Ein mögliches Anwendungsbeispiel aus dem Recht

Bei der Eintragung sind der Name und der Sitz des Vereins, der Tag der Errichtung der Satzung, die Mitglieder des Vorstands und ihre Vertretungsmacht anzugeben.

— §64 BGB (Inhalt der Vereinsregistereintragung)

Eine Möglichkeit der logischen Repräsentierung

Der Satzteil der Aufzählung der Dinge, die als Inhalte der Vereinsregistereintragung anzugeben sind, könnte wie folgt repräsentiert werden:

Repräsentierung

Mögliche logische Repräsentation:

( a ∧ b ∧ c ∧ d ∧ e )

Eine mögliche Python Implementierung:

DISJUNKTION

Die Disjunktion entspricht dem umgangssprachlichen „oder”. Für die Wahrheit der Disjunktion im Ergebnis genügt bereits eine wahre Teil-Aussage, die Disjunktion ist nur falsch, wenn beide Teilaussagen falsch sind:

Disjunktion

VORSICHT: Nicht gemeint ist das „ausschließende oder”, in der also das Ergebnis nur wahr wäre, wenn jeweils nur eine Teil-Aussage wahr und die andere falsch ist, aber nicht beide gleichzeitig wahr oder gleichzeitig falsch sind.

Ein mögliches Anwendungsbeispiel aus dem Recht

Wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt, ist dem anderen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet.

— §823 Abs. 1 BGB (Schadensersatzpflicht)

Eine Möglichkeit der logischen Repräsentierung:

Der Satzteil „das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht” könnte bereits mit einer einfachen Disjunktion repräsentiert werden:

Repräsentierung

Mögliche logische Repräsentation:

( a ∨ b ∨ c ∨ d ∨ e ∨ f )

Eine mögliche Python Implementierung:

Die logische Repräsentierung des gesamten Absatzes wäre nun ein leicht komplexeres Gebilde. Hierfür benötigen wir noch die Äquivalenz, sodass also erst im folgenden Abschnitt zusammen mit der Konjunktion ein Versuch angestellt werden kann, den vollständigen §823 Abs. 1 logisch zu repräsentieren.

ÄQUIVALENZ (BI-IMPLIKATION)

Die Äquivalenz, auch Bikonditional oder Bi-Implikation genannt, beschreibt den Fall, dass zwei Aussagen genau dann wahr sind, wenn beide denselben Wahrheitswert besitzen. Sie bildet eine „hinreichende und notwendige” Bedingung ab. Die Wahrheit eines elementaren Aussagesatzes ist genau dann gegeben, wenn auch ein anderer elementarer Aussagesatz wahr ist – und umgekehrt. Ein einfaches Beispiel:

Eine Person ist volljährig genau dann, wenn sie mindestens 18 Jahre alt ist.

Dabei könnte a für „eine Person ist volljährig” und b für „eine Person ist mindestens 18 Jahre alt” stehen. Die Wahrheit, dass eine Person volljährig ist, hat die notwendige Folge, dass sie auch mindestens 18 Jahre alt ist (Wenn a, dann b). Umgekehrt gilt aber auch: Wenn eine Person mindestens 18 Jahre alt ist, dann ist sie auch volljährig (Wenn b, dann a).

WICHTIG: Die Äquivalenz trifft keine Aussage über einen kausalen Zusammenhang. Es geht hier ausschließlich um die Beziehung der Wahrheitswerte– unabhängig davon, ob ein Kausalzusammenhang vorliegt.

Äquivalenz

Ein mögliches Anwendungsbeispiel aus dem Recht

Als Anwendungsbeispiel wollen wir nun versuchen, ob wir den im Abschnitt zur Disjunktion aufgegriffenen §823 Abs. 1 BGB mit Hilfe der Äquivalenz sinnvoll repräsentieren können.

Wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt, ist dem anderen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet.

— §823 Abs. 1 BGB (Schadensersatzpflicht)

Aufgrund der größeren Komplexität dieses Absatzes gäbe es nun sicherlich verschiedene Möglichkeiten, wie genau der Satz aussagenlogisch repräsentiert werden könnte. Dies müsste also durchaus kontrovers diskutiert werden, und in Wirklichkeit müssten natürlich auch juristische Einwände (z.B. über implizite Tatbestandsmerkmale, hier etwa „Kausalität bei der Verletzung“) erörtert werden. Eine mögliche (dem Wortlaut entsprechende) Repräsentation wäre die folgende:

Repräsentierung

Der Satz könnte in die farbig hervorgehobenen Einzelteile zerlegt werden und in die folgenden elementaren Aussagesätze überführt werden:

Repräsentierung

Durch die Kombination einer Disjunktion (Vorsatz oder Fahrlässigkeit) mit den weiteren Voraussetzungen (Disjunktion der Rechtsgüter und die weiteren Tatbestände) über eine Konjunktion und einer abschließenden Äquivalenz ergibt sich folgende logische Repräsentation:

( ( a ∨ b ) ∧ ( c ∨ d ∨ e ∨ f ∨ g ∨ h ) ∧ i ∧ j ∧ k ) ↔ l

Auch dies kann in einem Python-Programm implementiert werden:

Literaturhinweise

  1. van Riel R., Vosgerau G. (2018) Aristotelische Syllogistik. In: Aussagen- und Prädikatenlogik. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-04565-2_14
  2. Classical Logic (Stanford Encyclopedia of Philosophy)
  3. Leitgeb H. (2016) Vorlesungsskript – Logik 1, Eine Einführung in die klassische Aussagen- und Prädikatenlogik (Ludwig-Maximilians-Universität München), Kapitel 2.1 (abrufbar auf der Internetseite des MCMP)
  4. Weiterführende Informationen zur Prädikatenlogik, Klassen- und Relationenlogik, deontische Logik und Fuzzy-Logik
  5. Leitgeb H. (2016) Vorlesungsskript – Logik 1, Eine Einführung in die klassische Aussagen- und Prädikatenlogik (Ludwig-Maximilians-Universität München), Kapitel 2.1 (abrufbar auf der Internetseite des MCMP)

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