Rechtsfragen

Das Metaverse

Eine kurze Einführung

Bildquelle: Unsplash Bildquelle: Unsplash

„Also ist Hiro eigentlich gar nicht hier. Er ist in einem computergenerierten Universum, das ihm sein Rechner auf die Brille malt und in seine Kopfhörer pumpt. Hacker nennen diesen imaginären Ort das Metaverse.

— Neal Stephenson, Snow Crash, S. 35

Hiro nähert sich der Street. Sie ist der Broadway, die Champs-Élysées des Metaverse. Die grell erleuchtete Prachtstraße spiegelt sich stark verkleinert und verkehrt herum in seinen Brillengläsern. Sie existiert nicht wirklich. Und dennoch flanieren gerade Millionen Menschen auf und ab.(Fn. 1]

So beschrieb der Autor Neal Stephenson eine geheimnisvolle virtuelle Welt in seinem Roman „Snow Crash“ und prägte so den Begriff des Metaverse. Dieser bezieht sich auf imaginäre virtuelle Welten, die einer perfekten Simulation der Wirklichkeit gleichkommen, sozusagen eine „zweite digitale Realität“ bilden. Doch längst findet man das Metaverse nicht mehr nur in Science-Fiction-Romanen, sondern in Strategieplänen großer Digitalkonzerne und wissenschaftlichen Studien. Spätestens seitdem sich der Facebook-Konzern in Meta umbenannt und zeitgleich seine strategische Neuausrichtung auf ein zukünftiges Metaverse bekanntgegeben hat, ist der Begriff des Metaverse endgültig im Mainstream angekommen. Doch was beschreibt er eigentlich? Eine der gängigsten Definitionen wurde von Matthew Ball geprägt:

“The Metaverse is a massively scaled and interoperable network of real-time rendered 3D virtual worlds which can be experienced synchronously and persistently by an effectively unlimited number of users with an individual sense of presence, and with continuity of data, such as identity, history, entitlements, objects, communications, and payments.”(Fn. 2)

— https://www.matthewball.vc/all/forwardtothemetaverseprimer

Das Metaverse soll also eine riesige digitale Welt sein, in der eine Vielzahl von Menschen gleichzeitig sich bewegen und miteinander interagieren sollen. Doch diese Welt soll nicht einfach über Maus, Tastatur und Bildschirm zugänglich sein (wie wir es heute z.B. von Sozialen Netzwerken kennen), sondern über die sog. „Virtuelle Realität“.

A. Virtual Reality

Was bedeutet virtuelle Realität? Damit werden computergenerierte Wirklichkeiten bezeichnet, in die der Anwendende „eintaucht“. Er oder sie erlebt die virtuelle Welt nicht als Teil seiner analogen Realität (als Abbild auf einem Computerbildschirm), sondern sie füllt seine gesamte Sinneswahrnehmung aus. Meist wird dies mit einem sog. Head-Mounted-Display (Video- bzw. VR-Brille) umgesetzt, bei dem die Bildschirme das gesamte Sichtfeld des Anwendenden einnehmen. Dadurch nimmt man die virtuelle Welt viel direkter wahr. Wird dies zudem mit neuen Eingabemethoden kombiniert, etwa Motion-Capture-Verfahren (bei denen die Bewegungen des Spielers ins Virtuelle übertragen werden), entsteht der Eindruck, sich wirklich in der virtuellen Welt zu bewegen, ein Teil von ihr zu sein. Dieses Erlebnis der Teilnahme soll dabei ein zentrales Element des Metaverses sein, wodurch erst der Eindruck einer „zweiten Realität“ entstehen kann.

Schon heute existieren verschiedene Anbieter von VR-Brillen, die meist für Unterhaltungszwecke benutzt werden. Ist das Metaverse also nur eine Weiterentwicklung bestehender Online-Welten mittels Virtual Reality?

B. Unterscheidung zu bereits bestehenden virtuellen Welten

Schon seit den 2000er-Jahren existieren Computerspiele, in denen eine große Anzahl an Spielenden eine „gemeinsame“ virtuelle Spielwelt bevölkern und dabei auf verschiedene Weise miteinander interagieren. Sie werden deswegen auch als MMOGs (Massively Multiplayer Online Games) bezeichnet. Mitunter bilden sich komplexe soziale Strukturen heraus, etwa wenn im Spiel „Eve Online“ tausende Spielende sich zu großen Vereinigungen zusammenschließen, die miteinander Bündnisse schließen oder Konflikte austragen. Auch können die Spielende dauerhaft und tiefgreifend in die Spielwelt eingreifen, es bilden sich prototypische Wirtschaftskreisläufe und sogar berufsähnliche Tätigkeiten. Trotz dieser Komplexität bleiben die Handlungen der meisten Spielenden auf den Spielzweck beschränkt, der Sinn und Zweck der Teilnahme an der virtuellen Welt erschöpft sich in der Unterhaltung selbst. Hier liegt die Unterscheidung zwischen MMO-Spielen und dem Metaverse. Zwar wird Unterhaltung auch ein wesentlicher Teil des Metaverse bilden, die sozialen Interaktionen der Teilnehmenden und ihre Handlungen sollen jedoch weit darüber hinaus reichen und sogar mit der Realität interagieren. Eine erste Vorausschau könnte dabei das Online-Spiel „Second Life“ bieten:

C. Second Life als „Proto-Metaverse“

Second Life ist ein 2003 veröffentlichtes Computerspiel, in dem die Spielenden die Spielwelt aktiv mitgestalten konnten. Es war nicht nur möglich, eigene Gegenstände zu erstellen und zu handeln, sondern auch die Umgebung und auch die Spielregeln für bestimmte Bereiche dauerhaft zu verändern. Aufgrund dieses weiten Gestaltungsspielraums entstanden eine Vielzahl von verschiedenen Interaktionsmöglichkeiten innerhalb von Second Life. Während die Welt z.T. für „klassische“ Spiele wie Ego-Shooter genutzt wurde, entstanden auch virtuelle Museen, wurden in virtuellen Universitäten Vorlesungen abgehalten und es bildeten sich eigene Wirtschaftszweige, die etwa individuelle Gegenstände für die Avatare der Nutzenden herstellten. Aufgrund dieser Vielfältigkeit wird Second Life oft als ein Vorgänger des Metaverse bezeichnet, als ein „Proto-Metaverse“. Doch während zwischenzeitlich große Spielerzahlen erreicht wurden und das Spiel eine breite Rezeption in der medialen Öffentlichkeit erfuhr, nahmen Spielerzahlen und Aufmerksamkeit über die Jahre hinweg wieder ab. Auch aufgrund des heute veralteten technischen Fundaments lässt sich wohl feststellen, dass die besten Zeiten des „ersten“ Metaverses wohl vorüber sind. Doch warum hat dann der Begriff des Metaverse so einen Hype erfahren?

D. Warum jetzt?

Zentral waren dabei verschiedene (technische) Entwicklungen in Bereichen, die als zentral für das Metaverse angesehen werden:

  • Virtual Reality: Wie schon oben beschrieben, wird das Eintauchen in das Metaverse mittels VR als zentraler Aspekt des Metaverse angesehen. In den letzten Jahren hat die Entwicklung von VR-Brillen deutlich an Fahrt aufgenommen. Vor einigen Jahren noch waren VR-Brillen klobige und schwere Ungetüme mit einer schlechten Auflösung, die zudem einen Hochleistungs-Gaming-PC für die Berechnung der Spielwelten brauchten. Inzwischen ist die Auflösung deutlich gestiegen, die Brillen werden leichter und haben auch selbst die benötigte Rechenkapazität. Somit lässt sich absehen, dass in nicht allzu ferner Zukunft preiswerte und leistungsfähige VR-Brillen marktreif sein werden, die aufgrund ihres geringen Gewichts und des hohen Tragekomforts auch mehrere Stunden an Anwendungsdauer zulassen werden.
  • Kryptowährungen: Viele virtuelle Welten kennen Währungen, die für den Kauf von Gegenständen oder die Bezahlung von Dienstleistungen verwendet werden können. Doch nur wenn diese Währungen sich auch in reale Währungen tauschen lassen, entsteht ein Anreiz für Nutzende, sich über den reinen Spielzweck hinaus mit dem Verdienen von virtuellem Geld zu befassen. Im Falle von Second Life konnte man die interne Währung über eine Börse des Spieleentwicklers selbst in Dollar eintauschen. Solche Lösungen funktionieren jedoch nur für virtuelle Welten, die streng reguliert durch eine zentrale Instanz verwaltet werden. Die im letzten Jahrzehnt aufgekommen Kryptowährungen bietet hier die Möglichkeit, Transaktionen innerhalb des Metaverses dezentral abwickeln zu können und Gewinne aus dem Metaverse in reales Geld einzutauschen. Damit könnten sie das Fundament einer eigenständigen Wirtschaft im Metaverse bilden.
  • NFTs: Schon jetzt können virtuelle Gegenstände, etwa sog. Kleidung für Avatare, erhebliche Vermögenswerte darstellen. Voraussetzung dafür ist meist die Seltenheit des jeweiligen Gegenstands im Spiel selbst, durch den der Status des jeweiligen Trägers steigt. Diese Seltenheit wird dabei meist durch die Spieleentwickler selbst gewährleistet, die oft durch den Verkauf dieser Gegenstände erhebliche Einnahmen erzielen. Das „Recht“ den jeweiligen Gegenstand im Spiel zu tragen wird dabei einzig und allein durch den Entwickler gewährleistet, dieser entscheidet auch, ob Gegenstände handelbar sind oder verkauft werden können. NFTs bieten hier eine andere Lösung. Der Inhaber oder die Inhaberin eines NFTs wurde dadurch das Recht bekommen, den abgebildeten Gegenstand (etwa einen besonderen Hut) im Metaverse zu tragen. Er oder sie könnte auch jederzeit das NFT weiterverkaufen. Kombiniert mit der Möglichkeit für Nutzende, virtuelle Gegenstände selbst zu erstellen und als NFTs zu verkaufen, würde dies ein weiterer Bestandteil eines Metaverse-Wirtschaftskreislaufs bilden.

Die dargestellten technischen Entwicklungen (zusammen mit dem Anstieg an Rechenleistung und Übertragungskapazitäten) haben bewirkt, dass eine Umsetzung des Metaverse von den Befürwortern des Metaverses als möglich erachtet wurde. Aktuell sind verschiedene Firmen mit unterschiedlichen Ansätzen nach eigenen Angaben mit der Entwicklung eines Metaverse beschäftigt. Dabei stellt sich schon jetzt eine zentrale Frage: Wird es zukünftig ein zentrales, dominierenden Metaverse einer Firma geben; mehrere, unabhängige und abgeschlossene Metaverse oder wird das Metaverse ein Zusammenschluss dieser verschiedenen Unterwelten darstellen?

E. Der Kampf um das zukünftige Metaverse

Um die Entwicklung eines zukünftigen Metaverses ist dabei in den Jahren 2021/ 2022 ein regelrechter Goldrausch ausgebrochen. Digitale Giganten wie Meta (ehemals Facebook) konkurrieren mit Größen des Spielemarktes wie Epic Games und kleineren Projekten wie Decentraland. Doch was treibt diese Konkurrenz an? Es ist die Hoffnung, eine marktbeherrschende Stellung als zukünftige Plattform zu erhalten. Der Aufstieg der Digitalkonzerne Apple, Google, Facebook und Amazon hat gezeigt, dass es sehr lukrativ sein kann, als Plattform den Zugang zu digitalen Diensten zu kontrollieren. Die Hoffnung dieser Firmen ist, das dominierende Metaverse zu entwickeln und dann über die im digitalen übliche Konzentrationswirkung eine Marktbeherrschung zu erreichen. Bei diesem Szenario würde sich schließlich ein Unternehmen mit seinem Metaverse durchsetzen und somit „ein“ Metaverse etablieren. Diese Firma hätte dementsprechend großen Einfluss, würde sie doch faktisch die „zweite Realität“ kontrollieren.

Doch es ist auch ein Szenario denkbar, in dem keiner der Projekte sich durchsetzen kann, sondern mehrere Metaversen nebeneinander existieren. Diese wären jedoch in sich abgeschlossen, d.h. es gäbe keine Möglichkeit für die Nutzenden, mit ihren Avataren und digitalen Gütern zwischen den Welten zu wechseln. Der „Lock-In-Effekt“, der schon heute von Sozialen Netzwerken bekannt ist, würde die Freizügigkeit der Nutzenden erheblich einschränken, sie müssten sich faktisch an ein Unternehmen binden (insbesondere, wenn der Zugang zu einem Metaverse nur mit spezieller Hardware möglich ist).

Von diesen beiden Szenarien unterscheidet sich das Dritte erheblich. In diesem wäre das Metaverse ein Zusammenschluss mehre einzelner virtueller Welten, zwischen denen man aber ohne Aufwand wechseln könnte. Nutzende könnten also in der Welt von Epic Games Spiele spielen, um danach ohne Probleme in die Welt von Meta zu wechseln und dort ihre Freunde zu treffen. Eine solche Umsetzung würde deutlich größeren Freiheiten gewähren und käme wohl deutlich näher an die Idee einer „zweiten Realität“ heran, ist jedoch auch technisch deutlich schwieriger umzusetzen. Nötig wären dazu verbindliche Standards, Schnittstellen und Protokolle, ähnlich zu den technischen Grundlagen des Internets. Welche Alternative sich durchsetzen wird, ist aktuell noch nicht abzusehen. Klar ist jedoch, dass davon erheblich die rechtlichen Fragestellungen und Herausforderungen abhängen werden, die im Bezug zum Metaverse auftreten werden.

F. Recht im Metaverse

Welche rechtlichen Fragestellungen werden im Zusammenhang mit dem Metaverse auftreten? Diese Frage lässt sich aktuell nicht abschließend beantworten, gewisse Linien und Herausforderungen sind aber schon jetzt erkennbar. Dabei kann zwischen rechtlichen Fragestellungen unterschieden werden, die sich spezifisch auf das Metaverse an sich beziehen und solchen, die sich mittelbar über die im Kontext von Internetrecht und der Regulierung von großen digitalen Plattformen schon heute ergeben.

Schon heute wird intensiv über die Macht digitaler Plattformen und über die Rechtdurchsetzung durch solche privaten Unternehmen diskutiert. Geht man von den eben dargestellten Szenarien 1&2 aus, werden diese Fragestellungen auch in Bezug auf das Metaverse sehr relevant sein. Gerade wenn sich wichtige Teile des Alltags und des Wirtschaftslebens noch weiter ins Digitale, also ins Metaverse, verlagern, werden die Betreiberunternehmen einen großen Einfluss auf die digitale Lebensgestaltung nehmen. Hier wird strittig sein, inwieweit die privaten Unternehmen hier selbst Recht setzen und durchsetzen dürfen und inwieweit dies durch nationale Regelungen eingegrenzt werden muss, sodass der Gesetzgeber seine Macht de facto nicht verliert. Dies gilt besonders vor dem Hintergrund, dass die potentiellen Anbieter des Metaverse nicht aus Deutschland stammen und eine Rechtsdurchsetzung zusätzlich erschwert werden kann. Auch der Datenschutz und die Frage nach dem Verhältnis von Anonymität und Identifikation wird weiterhin eine große Rolle spielen. Die Fülle an verarbeiteten Daten wird weiter zunehmen und damit auch die Risiken für die Freiheit der Einzelnen. Auch wird es fraglich sein, inwieweit das Metaverse Anonymität zulassen wird (mit den damit verbundenen Problemen).

Welche rechtlichen Fragestellungen werden sich spezifisch durch die Entwicklung eines Metaverse herausbilden? Besonders relevant könnte dies bei Szenario 3 sein, also dem Fall, dass das Metaverse eine Vielzahl verschiedener virtueller Welten verbinden würde. Voraussetzung hierfür werden gemeinsame Schnittstellen und Protokolle sein. In der Geschichte des Internets haben sich diese weitestgehend ohne staatliche Vorgaben entwickelt. Jedoch könnte es heute erforderlich sein, zumindest rechtliche Anreize zu schaffen, ein freies Metaverse zu schaffen, bzw. eine Interoperabilitätspflicht festzulegen. Eine besondere Herausforderung wird dabei die Übertragbarkeit von digitalen Gütern sein. Aktuell werden digitale Güter nur durch Vertragsbeziehung zwischen Nutzenden und Betreiber gewährt. Letztere haben aber wenig Anreize, digitale Güter anderer Betreiber anzuerkennen. Technisch wäre dies spätestens durch die Entwicklung von NFTs machbar (vgl. dazu unser Dossier zu NFT’s). Wie die rechtliche Umsetzung aussehen könnte (etwa durch eine Ausgestaltung als absolutes Recht?) ist noch offen und bedarf der Klärung.

G. Aktueller Stand

Der Hype um das Metaverse hat im Vergleich zur Hochphase deutlich an Fahrt verloren bzw. wurde vom aktuellen Fokus auf KI-Anwendungen, insbesondere auf generative KI, abgelöst. Wesentlicher Treiber dabei war das Abklingen der Corona-Pandemie und die damit verbundene Rückverlagerung des (vornehmlich virtuellen) Pandemie-Alltags zurück zur (doch noch sehr analogen) Realität. Noch nicht abzusehen ist, ob es sich hierbei nur um eine Tiefphase in dem für Digitaltechnologie typischen Hype-Zyklus handelt oder die Vision des Metaverse vielleicht doch nicht Realität werden wird. Gegen eine endgültige Abschreibung des Metaverse spricht jedoch, dass mehrere Firmen weiter an ihren Metaverse-Projekten arbeiten und jüngst auch Apple mit der Veröffentlichung der Apple Vision Pro ganz neu in den VR-Markt eingestiegen ist. Sollte das Metaverse jedoch Wirklichkeit werden, wird es viele rechtliche Herausforderungen stellen, welche zum Teil neuartig, zum Teil aber auch stark verschränkt mit bisherigen Rechtsfragen der Digitalisierung sein werden.

Leseempfehlung:

Sehr einflussreich für viele Beteiligte ist die 9-teilige Essayreihe „Metaverse Primer“ von Matthew Ball (abzurufen unter: https://www.matthewball.vc/the-metaverse-primer)

Für einen Überblick über die rechtlichen Fragestellungen empfiehlt sich Martini/ Botta, Der Staat und das Metaversum, MMR 2023, 887


Lehrstuhl für Recht und Sicherheit der Digitalisierung © 2025