Grundlagen

Smart Contracts

Legal Tech auf der Blockchain?

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Einer der Buzzwords der letzten Jahre im Legal-Tech Bereich waren die sog. „Smart Contracts“. Doch was sind eigentlich Smart Contracts? Wie spielen sie mit der Blockchain, die im letzten Dossier vorgestellt wurde, zusammen? Und als was sind sie rechtlich einzuordnen? Auf all diese Fragen wird im folgenden Dossier genauer eingegangen.

A.Was sind Smart Contracts

Was sind Smart Contracts? Entgegen einer wörtlichen Übersetzung sind Smart Contracts keine rechtlichen Verträge, sondern Computerprogramme, die ein digital prüfbares Ereignis verarbeiten und auf dieser Basis eine rechtlich relevante Handlung automatisch ausführen. (Fn. 1) Meist sind sie in Form recht einfacher „Wenn-Dann“-Bedingungen aufgebaut. So könnte zum Beispiel ein Smart Contract zur Zahlung des Kaufpreises gem. § 433 II BGB (stark vereinfacht) wie folgt aussehen:

Wenn Kaufsache an den Kunden geliefert wurde, dann zahle Kaufpreis X an Verkäufer V.

Sobald die Bedingung eintritt, führt der Smart Contract automatisch den Vorgang aus, ohne dass ein menschliches Handeln erforderlich wäre. Der Vorteil einer solchen automatischen Vertragsausführung liegt in den geringeren Transaktionskosten aufgrund der Effizienzsteigerung und in einer höheren Vertragssicherheit.

Das Konzept der Smart Contracts ist dabei jedoch nicht neu. Warenautomaten können auch als Smart Contracts angesehen werden, führen sie doch die Abgabe der Kaufsache nach Bezahlung durch den Käufer ebenfalls automatisch aus. Also warum ist das Konzept nun in aller Munde?

B. Implementierung mittels Blockchain?

Grund hierfür ist die Entwicklung der Blockchains und der damit verbundene Einsatz von Smart Contracts auf Blockchains. Im einfachste Sinne kann man auch die Algorithmen, die eine Transaktion auf der Blockchain ausführen, als Smart Contract bezeichnen. Jedoch werden inzwischen deutlich mehr und komplexere Smart Contracts auf der Blockchain ausgeführt. Warum?

I. Das Problem zentralisierter Smart Contracts

Durch die Blockchain wird ein zentrales Problem der Smart Contracts gelöst, nämlich das Vertrauen. Um zum Beispiel des Warenautomaten zurückzukehren: Der Kunde muss darauf vertrauen, dass der Automat funktioniert und die Waren ausgibt. Im schlimmsten Fall verschwindet sonst das Geld im Automaten und der Kunde bleibt ohne Ware zurück. Im Falle des Warenautomaten mag dieses Risiko vertretbar sein, kann man doch den Automaten einer realen Firma zuordnen und dementsprechend seinen Anspruch durchsetzen. Dies ist bei anonymen Vertragsbeziehungen im Internet nicht ohne weiteres möglich. Ist das gegenseitige Vertrauen der Vertragspartner nicht genug, um die Vertragsausführung einer Partei zu überlassen, mussten sie einen vertrauenswürdigen Dritten beauftragen. Dieser verwaltete dann den Smart Contract und überwachte die Vertragsdurchführung. Doch auch diesem Dritten musste vertraut werden. Und zudem erhob dieser für seinen Dienst meist eine Gebühr, wodurch die Transaktionskosten stiegen.

II. Dezentrale Smart Contracts

Eine Speicherung und Ausführung des Smart Contracts auf einer Blockchain löst dieses Problem. Durch die technische Ausgestaltung ist ein Smart Contract nicht mehr im Nachhinein veränderbar, keiner der Seiten kann ihn nachträglich „fälschen“, also etwa den Kaufpreis heruntersetzen, bzw. ihn einfach löschen. Durch die dezentrale Speicherung muss keine Seite der anderen vertrauen; beide Seiten können anonym bleiben. Und da kein Intermediär nötig ist, sinken auch die Transaktionskosten (abhängig von den Transaktionskosten der Blockchain).

III. Die Probleme dezentraler Smart Contracts

Diese Vorteile haben jedoch auch ihren Preis, gehen sie doch mit verschiedenen Nachteilen einher.

1. Fehleranfälligkeit & Manipulation

Zum einen sind auf der Blockchain gespeicherte Smart Contracts zwar fälschungssicher, aber nicht manipulationssicher. Smart Contracts sind im Wesentlichen Computerprogramme, die – wie jedes Computerprogramm – das tun, wozu sie programmiert wurden. Handelt es sich dabei aber um eine fehlerhafte (oder gar manipulierte) Programmierung, so wird sich auch der Smart Contract fehlerhaft verhalten. Dies kann etwa durch die Zahlung des Kaufpreises an eine fehlerhafte Adresse auf der Blockchain geschehen. Die Zahlung kann unter Umständen für immer verloren sein. Doch auch das bewusste Ausnutzen von Bugs durch einen der Vertragspartner oder einen Dritten ist möglich. Während bei einem „klassischen“ Vertrag solche Fehler oder Manipulationen während der Vertragsdurchführung auffallen und dann behoben werden können (etwa im Rahmen einer Vertragsauslegung oder Änderung), ist dies bei Smart Contracts nicht ohne Weiteres der Fall. Hier werden (fehlerhafter) Code automatische ohne eine weitere Prüfung ausgeführt und Fehler sind nicht ohne Weiteres behebbar.

2. Starrheit

Ein weiteres Problem resultiert aus der Speicherung auf der Blockchain. Diese sorgt dafür, dass keiner der Vertragspartner den Smart Contract nachträglich abändern kann. Dies schützt einerseits die Vertragspartner vor einem betrügerischen Verhalten des anderen. Im Falle einer rechtmäßigen Vertragsanpassung – etwa aufgrund einer Störung der Geschäftsgrundlage gem. § 313 I BGB – wirkt sich dies negativ aus, da der Smart Contract nicht ohne weiteres an die geänderten Vertragsbedingungen angepasst werden kann.

3. Schnittstellenproblematik

Ein weiteres Problem tritt auf, wenn der Smart Contract auf Ereignisse außerhalb der Blockchain reagieren bzw. diese auslösen muss. Grundsätzlich kann ein Smart Contract nur auf Informationen innerhalb der Blockchain zurückgreifen. Hängt die Ausführung eines Vertrages von einer Bedingung ab, die sich außerhalb der Blockchain befindet (sog. „off-chain“-Ereignis), ist der Smart Contract auf eine Schnittstelle (sog. oracles) angewiesen, die ihm den Eintritt der Bedingung mitteilt. Dies kann etwa eine Schnittstelle sein, die aktuelle Aktienkurse meldet oder die Lieferung der Kaufsache an den Käufer anzeigt. Die Zuverlässigkeit des Smart Contracts hängt dabei maßgeblich von der Schnittstelle ab, denn wenn der Smart Contract „blind“ ist, kann er den Vertrag nicht durchführen. Die Oracles sind jedoch selbst meist weder dezentral noch fälschungssicher aufgebaut, wodurch sozusagen der vertrauenswürdige Intermediär „über Umwege“ wieder eingeführt werden muss. (Fn. 2)

4. Unbestimmte Rechtsbegriffe

Schließlich können Smart Contracts nur digital prüfbare Ereignisse verarbeiten. Eine Bedingung muss also entweder eingetreten oder ausgeblieben sein. Dies führt im Falle von unbestimmten Rechtsbegriffen zu Problemen, etwa im Falle einer „angemessenen Frist“ zur Nacherfüllung. Der Smart Contract kann nur die Einhaltung einer festen Frist prüfen, jedoch nicht selbst einschätzen, ob diese angemessen war. Deswegen stößt die rein automatische Durchführung bei der Auslegung von unbestimmten Rechtsbegriffen an ihre Grenzen. (Fn. 3)

C. Rechtliche Einordnung (nach Timmermanns)

Wie sind nun Smart Contracts einzuordnen? Wir haben bereits festgestellt, dass sie selbst keine rechtlichen Verträge sind. Das Zustandekommen und auch die Wirksamkeit der zugrundeliegenden Verträge ist also gesondert zu betrachten. Für die rechtliche Einordnung der Smart Contracts ist es nebensächlich, ob sie auf der Blockchain oder off-chain laufen.

I. Selbstvollziehender Vertrag

Relevant für die rechtliche Einordnung von Smart Contracts ist dabei, ob sich die Vertragsparteien auf die Vertragsdurchführung mittels Smart Contracts konkludent oder ausdrücklich geeinigt haben. Dann ist sie nämlich Teil des Vertrags geworden. In einem solchen Fall ist der Vertrag als Ganzes als selbstvollziehender Vertrag zu bewerten und der Smart Contract ist Teil desselben. Ein solcher liegt etwa auch bei dem schon erwähnten Beispiel des Warenautomaten vor. Aber auch die automatische Abbuchung von Gebühren bei Benutzung eines Mietautos (pay-as-you-drive) oder beim Abspielen eines Musikstückes könnten Fälle solcher selbstvollziehender Verträge sein.

II. Smart Enforcement

Anders liegt die Bewertung, wenn der Smart Contract zur Durchsetzung von zwingendem Recht dient. Dieses ist Teil des Vertrages, jedoch nicht aufgrund des Willens der Vertragsparteien, sondern aufgrund der gesetzlichen Regelungen. Hier ist deswegen nicht von der Form eines selbstvollziehenden Vertrags, sondern von einem sog. Smart Enforcement auszugehen. Die Rechtsdurchsetzung kann dabei auf verschiedenen Wegen erfolgen, von bloßen Hinweisen über automatisierte Meldungen bis hin zur automatischen Durchsetzung von Ge- und Verboten. (Fn. 4) Die rechtlichen Fragestellungen im Bezug zum Smart Enforcement werden genauer im Dossier „Code ist Law“ behandelt.

III. Algorithmische Selbsthilfeakte

Ist die Vertragsdurchführung weder durch den Willen der Parteien, noch durch zwingendes materielles Recht Teil der Vertragsbeziehungen geworden, so ist ein automatisches Handeln des Smart Contracts ein algorithmischer Selbsthilfeakt. (Fn. 5) Bereits existierende (grundsätzlich rechtmäßige) Anwendungen finden solche Smart Contracts bei der automatischen Deaktivierung von Software nach Ablauf des Vertragszeitraums. (Fn. 6) Schwieriger ist die Bewertung bei dem Entzug der Nutzungsmöglichkeiten einer Sache (etwa einer Motorsperre bei einem Leasingauto) oder der Sachherrschaft selbst (durch Verriegelung des Autos). Dies kann je nach Einzelfall entweder eine erlaubte Selbsthilfe gem. § 229 BGB oder eine verbotene Eigenmacht gem. § 858 BGB sein. (Fn. 7) In letzterem Fall wäre das „Handeln“ des Smart Contracts rechtswidrig.

D. Praktische Anwendungen

Durch die immer weiter zunehmende Digitalisierung und Automatisierung werden sich auch Smart Contracts immer weiter durchsetzen. Fraglich ist jedoch, ob dies zwangsläufig auf der Blockchain geschehen wird oder vielmehr innerhalb „klassischer“ technischer Lösungen durch einen vertrauenswürdigen Dritten. Inzwischen werden Smart Contracts auf der Blockchain für eine Vielzahl verschiedener Funktionen von einfachen Transaktionen auf der Blockchain über komplizierte Finanzprotokolle (sog. DeFi-Apps) bis hin zur Bildung und Verwaltung von Organisationen (sog. DAOs mit eigener Rechtsproblematik) eingesetzt. Allen gemeinsam ist, dass sie im Ökosystem der Kryptowährungen stark verbreitet sind, darüber hinaus jedoch nur begrenzte Anwendungen finden. Befürwortende sehen in ihnen die Vorboten einer Revolution des Rechtsmarktes hin zu einer dezentralen „Vollautomatisierung des Rechts“, Kritiker und Kritikerinnen hingegen nur aufwendige und fehleranfällige Konstrukte, deren eigentlicher Zweck anders einfacher und sicherer zu erreichen wäre.

Fußnoten

  1. Vgl. Kaulartz/ Heckmann, Smart Contracts – Anwendungen auf der Blockchain, CR 2016, 618 (618) & (624).
  2. Vgl. Linardatos, Dimitrios: Smart Contracts – einige klarstellende Bemerkungen, K&R 2018, 85 (87)
  3. Vgl. Kaulartz/ Heckmann, CR 2016, 618 (620).
  4. Vgl. Timmermann, Legal Tech – Anwendungen: rechtswissenschaftliche Analyse und Entwicklung des Begriffs der algorithmischen Rechtsdienstleistung, 2020, S. 244 ff.
  5. Vgl. Timmermann, Legal Tech, S. 237.
  6. Vgl. Paulus, Christoph G./ Matzke, Robin: Digitalisierung und private Rechtsdurchsetzung, CR 2017, 769 (775).
  7. Vgl. Paulus/ Matzke, CR 2017, 769 (776).
Autor: Julian Hofmann

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