Grundlagen

Grundlagen der deontischen Logik: Die Logik von Normen

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In einem ersten Beitrag konnten wir bereits die Grundzüge der Aussagenlogik kennenlernen. Dieser Beitrag baut nun auf diesen Grundlagen auf und widmet sich einer Fortentwicklung der Aussagenlogik, einem Logikkalkül speziell für (Rechts-) Normen.

Letzteres ermöglicht nicht nur eine detailliertere Diskussion der logischen Verknüpfungen im Recht, sondern auch eine genauere Betrachtung der speziell bei Normen auftretenden logischen Ambiguitäten, Problemen und Paradoxien.

“Sollens”-bezogene Sätze

Die deontische Logik befasst sich mit den Spezifika der logischen Verknüpfungen von “Sollens”- oder “Pflicht”-Sätzen. (Fn. 1 S. 253)

Es geht also nicht mehr um die bereits kennengelernten elementaren Sätzen der Aussagenlogik, die jeweils konkrete Aussagen über die Wirklichkeit treffen. Aussagenlogische Sätze sind wahrheitsfähig, deren getroffene Aussage über die Wirklichkeit ist also jeweils entweder wahr oder falsch.

Im Vergleich dazu können deontische Sätze, (Beispielsweise: “Stehlen ist verboten”) nur gültig oder ungültig sein.

Selbstverständlich können deontische Sätze trotzdem auch als wahrheitsfähige Aussagesätze formuliert werden, etwa indem auf deren Existenz abgezielt wird. (Bsp.: “Es ist wahr, dass in Deutschland der Sollens-Satz “Stehlen ist verboten” normiert ist.” )

Operatoren der deontischen Logik

Nachfolgend werden die grundlegenden Teil-Operatoren der spezifisch deontischen Logik vorgestellt. Diese stellen jeweils auf eine konkrete Handlung (oder Unterlassung) ab:

Als Beispiel könnte der Buchstabe “p” das Verhalten “im Seminar die Hand zu heben” repräsentieren.

p repräsentiert “im Seminar die Hand zu heben”

Nun können die folgenden Operatoren das Verhältnis der Norm zu dieser Handlung spezifizieren. Die Norm kann p entweder verbieten, explizit gebieten oder sich bezüglich p indifferent verhalten. (Fn. 1 S. 253)

VERBOTEN

Der vielleicht intuitivste Operator ist derjenige, der die Handlung p schlichtweg verbietet.

In unserem Beispiel könnte ein Dozent etwa darauf bestehen, Fragen erst nach seinem einführendem Vortrag zuzulassen, um seinen Redefluss nicht zu unterbrechen. In diesem Fall würde der Dozent es seinen Studenten untersagen, im Seminar die Hand zu heben:

Es ist verboten, im Seminar die Hand zu heben.
V (p)

V (p) wäre dabei eine mögliche Repräsentation dieser Norm. V steht hierbei für den verbietenden Operator.

GEBOTEN

Die Norm könnte es auch gebieten, die Handlung p vorzunehmen.

Damit wäre die Handlung p nicht nur nicht verboten, sondern sogar zur expliziten Pflicht erklärt. Der Dozent könnte beispielsweise in einer folgenden Seminarsitzung feststellen, dass manche Studenten seine ausgiebigen Vorträge nutzen um noch ein wenig Mittagsschlaf nachzuholen. Um dem zu begegnen und den Austausch im Unterricht anzuregen, könnte der Dozent nun beschließen, seine Studierenden zu verpflichten, im Seminar die Hand zu heben:

Es ist geboten, im Seminar die Hand zu heben.
G (p)

INDIFFERENT

Nichtzuletzt kann sich eine Norm auch indifferent zur Handlungsalternative verhalten. In diesem Fall spricht die Norm weder ein Gebot, noch ein Verbot bezüglich der Handlung aus.

Der Dozent könnte beispielsweise feststellen, dass nachdem er die Pflicht ausgesprochen hatte, im Seminar die Hand zu heben, nun überwiegend unnötige Wortmeldungen wertvolle Unterrichtszeit einnehmen. Als Reaktion darauf stellt er es seinen Studierenden nun wieder frei, im Seminar die Hand zu heben.

Es ist (aus Perspektive der Norm) indifferent, im Seminar die Hand zu heben.
I (p)

Beziehungen zwischen den deontischen Operatoren

Nun sollen einige der Beziehungen zwischen diesen Operatoren genauer erläutert werden. Durch die Betrachtung, wie sich die Operatoren zueinander verhalten wird klarer, welche Besonderheiten deontische Sätze im Vergleich zu “normalen” Aussagesätzen aufweisen.

An dieser Stelle sind insbesondere die Negationen der jeweiligen Operatoren von Relevanz: (Fn. 2 S. 363)

NICHT VERBOTEN: ¬ V (p)

NICHT GEBOTEN: ¬ G (p)

NICHT INDIFFERENT: ¬ I (p)

Nun können einige logische Verknüpfungen zwischen den Operatoren hergestellt werden: (Fn. 1 S. 254)

¬ G (p) ∧ ¬ V (p) -> I (p)

Ist eine Handlung p gleichzeitig nicht geboten und nicht verboten, so ist sie indifferent.

¬ G (p) ∧ ¬ I (p) -> V (p)

Ist eine Handlung p gleichzeitig nicht geboten und nicht indifferent, so ist sie verboten.

¬ V (p) ∧ ¬ I (p) -> G (p)

Ist eine Handlung p gleichzeitig nicht verboten und nicht indifferent, so ist sie geboten.

Interessant ist auch, dass Handlungen in verschiedenen Konstellationen erlaubt sind. So ist eine Handlung p, die nicht verboten ist, erlaubt (E repräsentiert die Erlaubnis):

¬ V (p) – > E (p) (relative Erlaubnis)

Eine Handlung p, die indifferent ist, ist allerdings ebenfalls erlaubt:

I (p) -> E (p) (absolute Erlaubnis)

Gebote stehen jeweils auch in einer besonderen Beziehung zur Erlaubnis:

Eine Handlung p, die geboten ist, kann nur erlaubt sein:

G (p) -> E (p)

Eine Handlung p, die verboten ist, kann nicht geboten sein. Damit kann sie auch nicht erlaubt sein:

V(p) -> ¬ G (p) -> ¬ E (p)

Diese Auseinadersetzung mit deontischer Logik könnte bei Legal Tech Anwendungsbeispielen, bei denen Teile der Rechtsordnung etwa algorithmisch repräsentiert werden, dabei helfen, die Gebots- und Verbotscharaktere einzelner Rechtsnormen in Kontext zueinander zu setzen. Demnach reicht es nicht aus, einzelne Normen aussagenlogisch korrekt zu disambiguieren. Soll das tatsächliche durch die Normen erforderte Verhalten ermittelt werden, muss auch ein verbessertes Verständnis der Dynamiken verschiedener Verbote und Gebote im Recht in Wechselbeziehung zueinander erlangt werden. Bei der Frage, wie diese Konflikte analytisch aufzulösen sind, kann das Teilgebiet der deontischen Logik einen wertvollen Beitrag leisten.

Literaturverzeichnis

  1. Joerden, J. (2017). Deontische Logik. In: Hilgendorf, E., Joerden, J. (eds) Handbuch Rechtsphilosophie. J.B. Metzler, Stuttgart. https://doi.org/10.1007/978-3-476-05309-1_36
  2. Morscher, E., & Zecha, G. (1972). Wozu deontische Logik? ARSP: Archiv Für Rechts- Und Sozialphilosophie / Archives for Philosophy of Law and Social Philosophy, 58(3), 363–378. http://www.jstor.org/stable/23678607
  3. Kelsen, H. (1958). DER BEGRIFF DER RECHTSORDNUNG. Logique et Analyse, 1(3/4), 150–167. http://www.jstor.org/stable/44083540

Literaturempfehlung

Kelsen, H. (1958). DER BEGRIFF DER RECHTSORDNUNG. Logique et Analyse, 1(3/4), 150–167. http://www.jstor.org/stable/44083540


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